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Joël Marchesan

Kaum eine viertel Stunde nach meinem Abschied von Roland in Jaca traf ich schon auf meine nächsten Lehrer. Sie waren weit von der Weisheit und Fitness von Roland entfernt, ja sogar das Wandern machte ihnen kaum Spaß, dennoch sollten sie mir die eine oder andere Lebenslektion erteilen. 

Kamil und Izabel: Eine polnische Mutter und Deutschlehrerin mit ihrem Sohn, den ich erst für ihren Mann hielt. Kamil war etwa in meinem Alter, sah jedoch reifer für sein Alter aus. Englisch sprach er nicht, dafür konnte er hervorragend Spanisch; er wollte sogar Spanischlehrer werden und nutzte jede Gelegenheit, um seine Fähigkeiten mit Hilfe der Spanier zu verbessern. Izabel, zu Hause eine Deutschlehrerin, sprach Deutsch mit schwerem Akzent, aber nutzte wie ihr Sohn mit mir die Möglichkeit ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Rückblickend waren sie eine große Inspiration für mich und brachten mich dazu viele meiner Positionen neu zu überdenken. 

 

Als ich sie zuerst traf war meine Meinung über sie weniger wohlwollend als jetzt. Bereits nach zehn Kilometern beschwerten sie sich über die Hitze (24°C) und den ach so steilen und hügeligen Weg -ein leichteres Auf und Ab als in Südfrankreich. Dazu kam noch ihre Wegverpflegung: Joghurt, Frischkäse und Schokolade... Das Perfekte für eine lange Wanderung  in der aragonesischen Hitze. "Wie schlecht kann man eigentlich vorbereitet sein?! Dazu sind ihre Rucksäcke viel zu schwer und voll mit unnötigem Zeug. Nach zehn Kilometern schon schlapp machen? Es gibt Abschnitte, da muss man über 30 laufen, weil es nicht gibt. Die werden es keine drei Tage mehr aushalten. Inkompetenter und unwissender kann man nicht sein." , meine Gedanken liefen wild umher. Und nun zu allem Überfluss schmiss Kamil noch eine Verpackung direkt in die Wildnis. "Bad pilgrim!", ermahnte ich ihn streng, aber noch mit genug Humor, um ihn seinen Fehler ohne defensiv zu werden berichtigen zu lassen. Und zu meinem Erstaunen tat er es auch, ohne Umstände! Wir lachten über diesen, passenden, jedoch lächerlich simplen Ausruf und ich erklärte ihnen, dass Müll auf dem Jakobsweg ein großes Problem ist, dem Image der Pilger schadet und die Landschaft für die folgenden Wanderer verunstaltet wird.

Sie hatten vollstes Verständnis und "Bad pilgrim!" wurde zu einem Insider, wenn immer jemand etwas dummes tat.

In diesem Moment wurde mir klar, dass es kein böser Wille, kein Desinteresse an den Mitmenschen und keine Missachtung der Umwelt waren, die ihn zum Verschmutzen, der Natur brachten. Ihm war es einfach nicht klar!

In gewisser Hinsicht war er genauso dumm wie ich. Es mag zwar dumm klingen solche Dinge erst lernen zu müssen, aber ich hatte anscheinend auch nicht den Schuss gehört, als man mir sagte, dass man Menschen nicht nach der ersten Begegnung beurteilen sollte. Dabei hatte mir mein Vater keine Woche vorher gesagt, dass mir die Leute nicht ohne Grund über den Weg laufen;wie er damit quasi im Voraus meinen Weg beschrieben hatte!

 

Über die nächsten Tage lernten sie immer mehr, sie wurden sogar zäher, auch wenn sie stets eine bis zwei Stunden nach mir ankamen, und ich lernte sie besser kennen und zu schätzen. Am Ende waren sie waschechte Pilger. 

 

- Joël Marchesan

 

 

 

 

Über den Autor:

Mein Motto:
Ein Schiff im Hafen ist sicher, aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.
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