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Joël Marchesan

Es sind Erlebnisse wie diese, die mich an etwas höheres, unbeschreiblich mystisches in uns Menschen glauben lässt: Völlig einander Fremde aus vier Nationen, verschiedensten Altersgruppen und sozialen Verhältnissen, die teilweise einander nicht mal verstehen können, wachsen im laufe einer Woche wie eine Familie zusammen; nur eine Sache hatten wir gemeinsam: Wir waren Pilger zusammengebracht durch den Camino Aragonès und jeder von uns hatte seine Gründe zu laufen:

Eine polnische Mutter und ihr 21-jähriger Sohn, die ich bereits erwähnt hatte, liefen, um von Gott Glück, Glaube und gute Hoffnung für ihren schweren und neuen Lebensabschnitt zu erbitten. Einen Monat vor ihrer Reise hatten sie ihren Ehemann/Vater verloren. Nun waren sie mit der Trauer und dem Loch in ihrem Herzen und der Familie konfrontiert. Ein paar liefen nur aus sportlerischem Antrieb. Ein anderer wollte durch die Bewegung und die Ruhe beim Wandern einem Herzproblem entgegenwirken. Wieder einer wollte genau wie ich die erste große Reise zur Selbstfindung bewältigen.

Die Gründe den Weg zu gehen waren zahlreicher als die Menschen, die auf ihm wanderten, und diese Gründe und Vorsätze sollten mich auf dem Weg immer wieder überraschen, inspirieren und zu Tränen bewegen.

 

Der Ort und der Tag, an dem wir uns alle trafen, wird mir ewig im Gedächtnis bleiben.

 

Nach meiner Begegnung mit Izabela und Kamil lief ich mit Pawel durch die aragonesische Hitze weiter; unser Ziel war Arrès - ein ehemaliges Wehrdorf mit Pilgern und Herbergenleitern (sogenannte Hospitaleros) als einzige Bevölkerung

Wir liefen eine gefühlte halbe Stunde einen Hügel hoch und mein Gefühl sagt mir, dass wir bald ankommen sollten. Es war jedoch kein Haus weit und breit zu erspähen. Die Hitze fing an mir zu zusetzen; mein Kopf versuchte die zurückgelegten Kilometer zuberechnen. 

Doch plötzlich tauchte hinter einer Kurve ein Turm auf; kurz darauf ein paar Häuser aus Sandstein. 

Fünf Minuten später befanden wir uns auch schon in der Herberge. Zwei nette alte Spanier begrüßten uns und zeigten uns durch Gestik und Körpersprache, wo wir schlafen und duschen können - natürlich sprachen sie kein Englisch und wir nicht Spanisch

Frisch geduscht und eingerichtet machte ich mich auf dieses kleine Dörflein zu erkunden. Das umgebene Gelände, die verwinkelten Gassen, der Wehrturm in der Mitte des Dorfes und die Häuser aus Sandstein wirkten wie eine Kulisse aus einem Western. Der Ort war klein, meine Erkundung kurz und so setzte mich auf die Mauer neben dem Turm, um die ferne dieser Prärie zu genießen. Der Wind stieß mir in starken Böen kalten Wind ins Gesicht; eine willkommene Abkühlung nach der Mittagshitze.

Um etwa 18 Uhr erinnerte ich mich, dass es Essen geben sollte, und mein Hunger war schon fast so groß wie die weite, in die ich blickte; dieser Hunger sollte noch zu meinem Erkennungsmerkmal werden.

Draußen wurde ein langer Tisch aufgebaut. Jeder half beim Aufbau und die Hospitaleros besorgten das Essen; dicke Thunisch-Sandwiches und Tomaten mit Olivenöl.

Der Tisch war lang und es wurde vieles herumgereicht. Nachdem wir etwas gesättigt waren fingen wir an einander vorzustellen: Izabela, Kamil und Pawel, die ich bereits erwähnte, das älter französische Pärchen Sylvie und Gilles - mit Pawel die einzigen, die Englisch sprachen - Eric aus der französischen Fremdenlegion - ein Stier von Mensch in seinen 50ern mit einem Lächeln, das einen manchmal schaudern ließ, wobei er jedoch ein lustiger, netter und interessanter Wegbegleiter war -

Jesùs - ein lustiger, rundlicher und herzhafter Spanier aus Madrid mit einer Lachsacklache und immer einen schlauen oder lustigen Spruch in seiner Hintertasche - Pedro - der Clown der Truppe, immer einen Witz parat und einer Mimik, die seine Witze auch ohne Sprachkenntnis tragen konnte - und um die Liste nicht zu lang zu machen Piluca - eine extrovertierte, aufgedreht und immerfrohe Spanierin, die durch ihre verrückte Art mir geholfen hat Spanisch zu lernen.

Da saßen und aßen wir alle zusammen, 15 Menschen: Spanier, Franzosen, Katalanen, Polen und ich als einziger Deutscher, noch wussten wir nicht wie sehr wir uns einander ans Herz wachsen würden, doch das Schicksal hatte uns an diesem Tag bereits in eine gemeinsame Bahn gelenkt.

In der nächsten Woche liefen wir in kleinen Gruppen zusammen, trafen uns in den selben Herbergen und aßen fast immer zusammen. Wir lernten einander besser kennen, ich lernte von ihnen Spanisch und würde sogar ein paar von ihnen nach meinem Weg besuchen, sogar bei ihnen Wohnen. 

Sie waren wie eine Familie für mich, sie lehrten mich unglaublich viel und ich habe noch einige Geschichten über sie zu erzählen.

 

- Joël Marchesan

 

 

Über den Autor:

Mein Motto:
Ein Schiff im Hafen ist sicher, aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.
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