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Joël Marchesan

"Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut." Dieser eine Satz brachte es zustande mein ganzes Leben zu verändern.

 

An diesem Morgen - ich war bereits in Galizien und auf dem Weg über das Cruz de Ferro nach Ponferada - spazierte ich frohen Mutes aus der Herberge in die nasse, aschgraue Kälte; morgens waren es meist nur 8°C und die Sonne ließ sich erst gegen 9 Uhr blicken, falls sie überhaupt durch die Regendecke kam. 

Meine Stimmung war trotz all dem sonnig. Am Vortag hatte ich gut gekocht und Gitarre spielen konnte ich auch wieder mal.

Im ersten Ort trank ich sofort meinen Morgenkaffe -ein Ritual, das mittlerweile zu meinem essentiellen Tagesablauf gehörte; gewärmt und frisch koffeiniert streichelte ich noch ein vorbeilaufendes Schaf und setzte meinen Weg zum Cruz de Ferro, dem höchsten Punkt des Camino Frances, fort. 

Durch das trübe Wetter und die Berge wanderte ich im dicksten Nebel. Die Sichtweite war so eingeschränkt, dass ich das Gefühl bekam der einzige Mensch auf dem Weg zu sein. Von diesem Gefühl befreit, fühlte ich mich wohl genug um aus vollstem Hals und mit bassigster Johnny Cash Stimme meine traurigen, aber kathartischen, Lieder zu singen. Tatsächlich begegnete ich jedoch ein paar anderen Pilgern, die mich verdutzt anschauten, als sie bemerkten, dass solch tiefe Töne aus einem so kleinen, dünnen Menschen kommen können; diese Komplimente bedeuteten mir viel, weil ich immer noch daran glaubte nicht gut singen zu können (und es bis heute manchmal noch denke).

All diese gute Stimmung, die sich durch diese tollen Begegnungen in mir ausbreiteten, führten mich dazu meine Umwelt intensiver wahrzunehmen. Und so bemerkte ich am Wegesrand einen großen schwarzen mit weißer, marmornen Inschrift versehenen, rechteckigen Stein.

 

Einen Grabstein. Mir war es bekannt, aber nicht richtig bewusst, dass immer wieder Menschen (vor allem früher) auf dem Jakobsweg umkommen. Ich weiß nicht mehr, was ich mir beim ersten Blick dachte, aber neugierig las ich die Inschrift durch und stand wie von einem Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht getroffen da.

Dieser schwarze Stein galt einem Jungen von gerade einmal 16 Jahren (4 Jahre jünger als ich zu der Zeit). Die Eltern ließen zu dem Namen und den Jahren noch einen Spruch beifügen, der mich in seiner grausamen jedoch schönen Wahrheit wie eine Kanonenkugel in die Magengrube traf:

"A ship is safe in harbor but that's not what ships are built for" zu Deutsch: "Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut"

Passender und wahrer hätte kein Spruch sein können. Dieser 16-jährige Junge (dieses kleine Schiff) tat, was er gebaut war zu tun.

Er befand sich weit weg vom Hafen und zeigte mir so deutlich und schmerzhaft, dass es nicht immer gut läuft, es aber wichtiger ist auf dem Meer zu segeln (sei es auch noch so kurz), als im Hafen zu verrotten. 

Bis zum heutigen Tage überkommen mich Tränen, wenn ich an diesen Tag denken muss. Dieser Satz treibt mich an, wenn ich zu lange auf meinem Sitzsack herumliege und meine Zeit mit sinnlosen Aktivitäten verschwende, wenn ich lange nicht mehr raus gegangen bin, wenn ich meine Freunde aus den Augen verliere. 

Dieser Spruch motiviert mich gleichzeitig mein Leben zu leben und die Erinnerung an dieses Grab treibt mich durch ein Gefühl Undankbarkeit meinem Leben zu geben nach draußen in die Welt, wenn ich nicht tue wofür ich gebaut wurde.

 

Erstaunlicher weise klärte sich der Himmel nach dieser Entdeckung langsam auf, ich traf bekannte Gesichter, lachte wieder und erzählte ihnen von meinem Erlebnis. Eine Geschichte, die ich nie vergessen werde.

- Joël Marchesan

 

Über den Autor:

Mein Motto:
Ein Schiff im Hafen ist sicher, aber dafür werden Schiffe nicht gebaut.
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