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Marion Welz
 

Mein Erleben von Hochsensibilität & Hochsensitivität

…einzigartig, vielfältig & bunt.

Hochsensibilität - Hochbegabung der Sinne - Marion Welz Berlin

Bild: Marion Welz

 

Bei dem Thema Hochsensibilität macht sich Traurigkeit bei mir bemerkbar. Mir kommen Worte wie Weichei, feinfühlig, eingeschnappt, nah an Wasser gebaut. Für mich ist der Begriff noch recht neu und dadurch, dass sich dahinter so viel verbirgt und so facettenreich ist, fühlt es sich (noch) wie ein Dschungel von 1000 Möglichkeiten an.

Ich spüre in meinen Körper, atme tief ein. Was bedeutet Hochsensibilität / Hochsensitivität für mich?

Es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen. Es ist so viel Empfundenes und auch wieder nichts greifbares. Es macht mich traurig. Es ist so vielfältig, so tief, so – unbeschreiblich. Es sind viele Erfahrungen und auch Leere. Es ist – etwas zu viel und – ich bin angreifbar… Alles von Außen einströmende kann zu viel sein: Zu viel Lärm, zu viel Unruhe, zu viel Mensch, zu viel Licht, zu viel Geruch, zu viel Geräusch, zu viel Gefühl. Nicht mit sich sein können. Das Außen ist sehr präsent. Ich ziehe mich in mich zurück, dann kann ich ganz Da-sein – für mich sein, mich spüren. Ganz in meinem Tun aufgehen, ohne Zeit & Raum, wie eine Blüte, die sich langsam entfaltet.

Ich kann nur fühlen, was Hochsensibilität bedeutet: Zuviel Anforderung. Zu viel Druck. Zu viele Erwartungen. Zu viel Last. Zu viel Traurigkeit. Mein Verstand meldet sich: Komisch, (zu) viel war doch das, wonach ich immer gestrebt habe. (Zu) viel Anerkennung im Außen, (zu) viel kontrollierte Aufmerksamkeit, (zu) viel Liebe, Umarmungen, Nähe, Kontakt, (zu) viel Sicherheit, (zu) viel Arbeit… Aber habe ich wirklich danach gestrebt?

Ich merke, auch wenn die Erfahrung für mich noch recht frisch ist, ist sie mir dennoch wichtig, zu erleben.

Sensibilität macht angreifbar. Gefühlt immer Projektionsfläche für andere zu sein. Rückzug, Stillsein, anpassen um nicht aufzufallen, um dazu zu gehören, um geliebt zu werden? Verständnisvoll, hilfsbereit, präsent sein für andere. Offen sein und alles und jeden verstehen können, nur sich selbst nicht. Diese Rolle wird aus der hohen Empathie heraus so verinnerlicht, dass wir selbst auf der Strecke bleiben. Ich habe mich z. B. verpanzert, zu gemacht, mein Herz verschlossen, um mich zu schützen, vor all dem Leid der Welt, was ich wahrgenommen habe und trotzdem bin ich genau hierauf immer wieder freiwillig zugegangen. Hier wurde ich gebraucht, hier konnte ich helfen, war ich richtig, erwünscht und ich war (zu) naiv (was ich nicht negativ sehe) zu begreifen, dass ich nur diene damit – im Außen. Innerlich habe ich mich immer weiter von mir distanziert, versteckt, niemanden an mich rangelassen, mich – als Marion – nicht gezeigt. Ich nehme auch wahr, dass die Menschen sehr viel mit sich selbst beschäftigt sind. Vielleicht habe ich auch deswegen selten nach Hilfe gefragt, um mein Gegenüber nicht auch noch mit meinen Themen zu ‚belasten‘.

 

Meine Erfahrungen mit Hochsensiblen sind,

 
  • dass wir sehr viel im Außen sind und uns darüber hinaus selbst mit unseren Bedürfnissen vergessen.
     
  • dass wir mit der Fülle an Reizen, die auf uns einströmen, schnell in die Überforderung geraten.
     
  • dass uns die Reize oder Gefühle regelrecht überfluten können (und hier nicht nur die vermeintlich Negativen wie Traurigkeit & Angst, sondern     auch Glück & Dankbarkeit).
     
  • dass wir uns anders fühlen, weil wir anders fühlen und dies nur mit anderen Hochsensiblen so teilen können.
     
  • dass wir besonders fühlen, weil wir fühlen wie wir fühlen - besonders intensiv.
     
Hochsensibilität hat nicht nur Schatten, es ist auch eine besondere Gabe – die ‚Hochbegabung der Sinne‘. Und diese Hochbegabung geht bei mir viel mit gelebter Erfahrung einher. Ich weiß um Dinge, ohne sie gelesen zu haben oder mich zumindest bewusst daran erinnern zu können. Die gelebte Erfahrung bringt mir einen Wissensschatz, der in keinem Buch steht, worüber noch keine Geschichten geschrieben wurden, der keine Statistik oder wissenschaftlichen Beweise braucht. Ich beschreibe es so wie ich es gerade empfinde, wahrnehme, beobachte, fühle. Und auch wenn sich das jetzt vielleicht ‚abstrus‘ anhören mag oder auch nicht nachvollziehbar für einige: es fühlt sich für mich genauso an. Meine Begabung besteht in der erlebten Erfahrung. Diese kann z. B. auch nur aus der Vorstellungskraft heraus entsprungen sein, denn das kann das Gehirn als Realität ablegen. Ich brauche die Erfahrung nicht selbst durchlebt zu haben, mir genügen die vielen Erfahrungen, die ich in meiner Arbeit mit Menschen ‚erforscht & gescannt‘ habe: Erfahrungen meiner über Jahrzehnte hinweg betreuten Patienten, Erfahrungen mit KollegInnen, MitarbeiterInnen und Vorgesetzten sowie das Erleben meiner KlientInnen. Es ist ein Erfahrungsschatz der sich nicht in Worte fügen lässt. Es bleibt nur erfühlt und gelebt und ist nicht belegbar.
 
Und dennoch ist so viel Wahrheit darin bzw. liegt vielleicht genau darin die Wahrheit?
 

Das ist Hochsensibilität für mich, aus der sich die Begabung ergibt. Die Begabung mit dem umzugehen, was ist und eine klare Handlungsfolge daraus ableiten zu können. Und wenn ich in meiner Wahrheit stehe, dann kann ich auch ‚Nein‘ sagen. Dann sehe ich mich mit meinen Bedürfnissen und habe den Mut, diese auch zu formulieren. Und ich lerne, nicht nur das Nein der anderen zu akzeptieren, sondern auch meine Bedürfnisse und Gefühle zu respektieren. Und so komme ich mir und meinem Selbst wieder etwas näher und lebe mehr, was ich bin. Erste Erfahrungen beim Nein sagen zeigen mir, dass es hilfreich ist zu schauen, wie ich es mache und nicht nur das ich es mache. Das Nein von innen heraus zu formulieren, aus der eigenen Überzeugung sprechen, dann lässt es auch kein ‚rechts oder links‘, ‚vielleicht‘ oder ‚aber‘ mehr zu und ist klar in der Formulierung und in seiner Aussage.